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Titel
The foundations of Latin.


Autor(en)
Baldi, Philip
Erschienen
Berlin 2002: de Gruyter
Anzahl Seiten
XXVII, 534 S.
Preis
€ 34,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Peter Kruschwitz, Corpus Inscriptionum Latinarum, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften

Die "Fundamente des Lateinischen" sind ein ebenso spannendes wie von Klassischen Philologen oft gemiedenes Gebiet. Das Material gilt als schwer verständlich und inhaltlich spröde, zudem ist es literaturwissenschaftlich unergiebig. Darüber hinaus sind zur Erhellung nicht selten zumindest Grundkenntnisse in der Indogermanistik erforderlich, über die Latinisten heutzutage in der Regel nur noch selten in nennenswertem Umfange verfügen. Folglich werden die frühlateinischen Texte, vor allem die Inschriften, ähnlich den Textzeugnissen anderer italischer Dialekte immer öfter aus dem akademischen Unterricht verbannt und den Indogermanisten überlassen. Dort sind sie fraglos gut aufgehoben, aber eine Philologie, die sich freiwillig eines durchaus nicht unerheblichen Teils der Geschichte der Sprache begibt, mit deren Zeugnissen sie sich per definitionem beschäftigt, erweist sich einen Bärendienst: Auch die Anfänge gehören zur Sprachgeschichte, und vieles spätere lässt sich ohne Betrachtung des Vorlaufs nicht vollends verstehen.

An älteren Einführungen und Quellensammlungen für das frühe Latein, die italischen Dialekte und die indogermanischen Ursprünge des Lateinischen herrscht gleichwohl kein Mangel. Nützliche Zusammenstellungen von Quellen für den akademischen Unterricht finden sich - vom ersten, für Studierende gänzlich unerschwinglichen Band des Corpus Inscriptionum Latinarum oder auch A. Degrassis "Inscriptiones Latinae liberae rei publicae" abgesehen - etwa in den vier Bänden von E. H. Warmingtons "Remains of Old Latin" oder auch in Sammlungen wie E. Diehls "Altlateinische Inschriften", A. Ernouts "Recueil de textes latins archaïques" und A. De Rosalias "Iscrizioni latine archaiche", um nur eine kleine Auswahl zu nennen. Eine besonders umfassende Darstellung hat V. Pisani mit seinem vierbändigen "Manuale storico della lingua latina" vorgelegt (darin in Band 3 ebenfalls eine Textsammlung). Klassiker - um den Blick auf Monographien zu beschränken - im Hinblick auf die phono- und morphologische Entwicklung des Lateins sind noch immer F. Sommers und M. Leumanns Laut- und Formenlehren, neu hinzugekommen sind bereits vor längerem R. Wachters Buch "Altlateinische Inschriften" sowie B. Vines "Studies in Archaic Latin Inscriptions", vor wenigen Jahren zudem auch die Darstellung von G. Meiser (mit einer kleinen Auswahl eingehender vorgestellter archaischer Texte). All diesen Bänden, deren Wert unbestritten ist und bleibt, ist jedoch eines gemein: Sie sind in hohem Maße voraussetzungsreich und ermöglichen nur schwer einen Einstieg in die Beschäftigung mit der Materie.

An diesem Punkt setzt das hier vorzustellende Werk "The Foundations of Latin" von P. Baldi an. Eine erste Fassung des Buches hatte Baldi bereits 1998 im selben Verlag publiziert, wo es mit festem Einband als Band 117 der Reihe "Trends in Linguistics. Studies and Monographs" erschien. Die Paperbackausgabe ist, wiewohl nicht explizit als zweite Auflage gekennzeichnet, nicht gänzlich mit der Hardcoverausgabe identisch. Die Grundaussagen und der Argumentationsgang blieben identisch, korrigiert wurden (nach Auskunft der Acknowledgments und des Verlages auf Anfrage des Rezensenten) die diakritische Auszeichnung der Inschrifttexte, eine Reihe kleinerer Versehen sowie die Ausrichtung einer Abbildung, zudem gibt es ein neues kurzes Vorwort. Der Hauptteil des Bandes gliedert sich in sieben Kapitel: (1) Indo-European and the Indo-European Languages, (2) An outline of Proto-Indo-European, (3) Ancient Italy and its Indo-Europeanization, (4) The languages of ancient Italy, (5) Materials for the study of Latin, (6) The development of the Latin phonological system from PIE (d.h. Proto-Indo-European) und (7) The development of the Latin morphological system from PIE. Alle Kapitel sind ihrerseits in eine ganze Reihe zweckmäßiger Unterabschnitte gegliedert. Zudem weist das Buch ein umfassendes Literaturverzeichnis sowie umfangreiche Indizes auf.

Ziel des Buches ist es, einen zeitgemäßen Abriss der sprachlichen Entwicklung des Lateinischen aus dem Indogermanischen bis zum 2. Jahrhundert n.Chr. zu geben, der für alle, die sich mit dem Lateinischen - sei es von indogermanistischer, sei es von klassisch-philologischer Warte aus - befassen, gleichermaßen von Nutzen ist. Diesem Anspruch wird der Band, der im übrigen mit einer stattlichen Anzahl von Tabellen, Karten und exzellenten Schwarz-Weiß-Fotos ausgestattet ist, sowie auch die gewählte Darstellungsform insgesamt gerecht. Es versteht sich von selbst, dass insbesondere dort, wo widerstreitende Standpunkte in der indogermanistischen Forschung bestehen, Baldis Aussagen Widerspruch hervorrufen können und werden. Gleichwohl ist die Darstellung äußerst akkurat ausgefallen und innerhalb des jeweilig in der Theorie eingenommenen Standpunktes (der dem Leser auch zur Kenntnis gebracht wird) sorgfältig durchgeführt.1 Notiert sei, dass Baldi ursprünglich die Absicht hatte, die Darstellung nicht nur auf die historische Phono- und Morphologie zu beschränken, sondern auch auf die historische Entwicklung der Syntax auszuweiten - ein Vorhaben, das in höchstem Maße zu begrüßen ist. Da sich dieses Vorhaben im Rahmen der "Foundations" aufgrund der Natur des zu behandelnden Materials als illusorisch erwies, bleibt zu hoffen, dass es in absehbarer Zeit anderweitig realisiert werden kann, wie es Baldi ankündigt.

Mag man in allgemeiner kulturwissenschaftlicher und indogermanistisch-sprachwissenschaftlicher Hinsicht mit Baldis Darstellung also zufrieden sein, sind aus klassisch-philologischer Sichtweise doch Bedenken anzumelden. Da sämtliche sprachwissenschaftliche Theorie mit der Qualität des Quellenmaterials steht und fällt, schien es zweckmäßig, einen besonderen Blick auf das Kapitel 5 zu werfen, worin Baldi Materialien für das Studium der lateinischen Sprache bietet. Diese sind auf sechs Unterabschnitte verteilt: 5.1. Inschriften, 5.2. "Continuous Texts", 5.3. literarische Texte, 5.4. Gesprochenes Latein, 5.5. Graffiti und 5.6. Briefe. Die Inschriften sind mit wenigen Ausnahmen durch Fotos illustriert und stets in lateinischer Umschrift und englischer Übersetzung dargeboten. Die Durchsicht dieses Abschnitts ergab eine ganze Reihe von Monenda: Zur Castor-und-Pollux-Weihung (5.1.1.) wäre ein Hinweis angebracht gewesen, dass in Zeile 2 QVPOIS mit Koppa (nicht mit Q!) sowie mit Rho (nicht mit R!) zu lesen ist. Die Textgestaltung des Cippus vom Forum Romanum (5.1.4.) ist unbefriedigend. CIL I 2 p. 853 bietet neben Ergänzungsvorschlägen auch zahlreiche Verbesserungen des zuvor weniger sorgfältig gelesenen Texts, die berücksichtigt werden müssen (so ist in Z. 3 hinter SOR mit Sicherheit der Buchstabe D zu lesen, um nur ein Beispiel zu nennen). Ob das Carmen Arvale (5.1.9.) wirklich unter die archaischen Inschriften gestellt werden sollte, erscheint zumindest mir fraglich. Die Textlesung ist fehlerhaft.2 Hervorgehoben sei jedoch Baldis neuer Deutungsvorschlag der bislang unverständlichen Buchstabenfolge TABERBER als "Krieg" o.ä., was er mit tabes zusammenbringen möchte. In der Grabinschrift für Atistia (5.1.10.) ist das in der Wendung in hoc panario fehlerhaft der fünften statt der vierten Inschriftzeile zugewiesen worden. In der Weihinschrift aus Aeclanum (5.1.12.) löst Baldi die Abkürzung des Namens VALG fehlerhaft Valg(anus) statt Valg(us) auf (der Name ist aus anderen Quellen bekannt). Unter "Continuous Texts" führt Baldi lediglich eine einzelne Passage aus den Zwölftafeln an. Die literarischen Texte sind untergliedert in ein Catozitat und spätere Grammatikerzeugnisse.

Erhebliche Bedenken lösen beim Rezensenten die in Kapitel 5.4. versammelten literarischen Reflexe gesprochenen Lateins aus, wo Baldi Passagen aus Plautus und Petron anführt. Grundsätzlich ist zu bemerken, dass dem Umstand, dass es sich um stilisierte Literatur - im Falle von Plautus sogar um metrisch verfasste Dichtung - handelt, viel zu wenig Rechnung getragen wurde. Auch sind längst widerlegte Fehlurteile wie "Because Plautus's audience was largely uncultured and uneducated [...]" (S. 229) schwer erträglich. Hierfür seien dem Interessierten deutlich bessere Studien zur Umgangssprache der römischen Komiker angeraten.3 Die in Kapitel 5.5. angeführten Graffiti stammen allesamt aus Pompeji. Der Text von CIL IV 1904 (5.5.1.) ist fehlerhaft wiedergegeben (neben der fehlenden Auszeichnung unsicher gelesener Buchstaben ist insbesondere die Auslassung des Ausrufs O zwischen admiror und parìens [mit I longa!] zu notieren), zudem findet sich derselbe Text noch öfter, auch in anderer Textgestalt, in Pompeji. Bei CIL IV 1173 (5.5.3.) sind die Zeilen 9ff. ohne Begründung und entsprechenden Hinweis fortgelassen. Zudem handelt es sich sehr wohl um eine metrische Inschrift, anders als Baldi dies explizit behauptet (Die Anführung nicht-metrischer Texte hätte dem Kapitel im übrigen gut getan.). Es bleibt somit zu konstatieren, dass die Darbietung der Texte die Sorgfalt vermissen lässt, die wünschenswert gewesen wäre.

Neuartig und wertvoll an dem Buch war und ist die eindrucksvolle Verknüpfung von kulturhistorischen und sprachgeschichtlichen Aspekten zu einer soliden Gesamtdarstellung, wie sie bislang, zumal mit einem solch breiten Spektrum an behandelten Aspekten, nicht existiert. Die Ausstattung und technische Qualität des Bandes ist ausgezeichnet, der Preis dafür angemessen. Dass ein Buch von über fünfhundert Seiten schwerlich jemanden in jedem Punkte überzeugen kann, ist eine Selbstverständlichkeit. Die Fehler in der Textpräsentation sowie die angesprochenen methodischen Probleme sind jedoch schwerwiegend und sollten in einer neuen Auflage dringend behoben werden, da sie den Wert des ansonsten lobenswerten und zuverlässigen Buches empfindlich mindern.

Anmerkungen:
1 Eine Besprechung mit sprachwissenschaftlichem Schwerpunkt hat bereits F. Heberlein, in: Gymnasium 108 (2001), S. 71-73, geliefert, auf die hier verwiesen sei.
2 Einen eigenen Versuch habe ich in Carmina Saturnia Epigraphica (Hermes-Einzelschriften 84), Stuttgart 2002, S. 213 vorgelegt.
3 Vgl. etwa Bagordo, A., Beobachtungen zur Sprache des Terenz, Göttingen 2001.

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